Exzerpt: Wolfgang Kaiser "Vom Reime"
Gefällt dir schon die Sprechart unserer Völker,
O so gewiß entzückt auch der Gesang,
Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde.
Anfänge des Reimes:
Der Reim als solcher war in der Antike in Rom, und Griechenland noch unbekannt (vgl. Catull!), in Germanien wusste man jedoch schon durch den Stabreim zu binden (d.h. durch Alliteration). Der Endreim wurde erst im 9. Jahrhundert von der mittellateinischen Hymnendichtung übernommen und entwickelte sich zum sog. carmen rhythmicum, frz. rime das wir im 12. Jh. als rim übernahmen. Im 18. Jahrhundert kam es zum Streit zwischen dem die volle Herrschaft innehabenden Reim und den wiederentdeckten reimlosen Versmaßen der Antike. Bis heute sind beide Gedichttypen erhalten.
Reinheit des Reims:
Beispiele für unreine Reime:
Doch nun holt der kleine Rächer
Spitze Pfeile eus dem Köcher.
Und langsam knarrt des Stalles Tür, -
Die Uhr schlägt vier.
Oft nimmt man durch dialektische Unterschiede unreine Reime als solche gar nicht wahr (z.B. sprechen die Berliner i wie ü). Obgleich Mörike meint, dass eine Abbeugung vom Regelmäßigen geradezu reizvoll für das Ohr sei, wird der unreime Reim etwa von Jakob Grimm als "laxe metrische Ausbildung" bezeichnet. Auch bedeutende Dichter wie Goethe, Schiller, Morgenstern oder Eichendorff stellen solche Zumutungen an den Rezipienten, der in der Lage sein sollte solche Missklänge zu hören.
Rührender Reim:
Der rührende Reim stammt aus Frankreich und bezeichnet das Gleichklingen auch der Laute die in der Silbe vor dem betonten Vokal stehen. Obwohl im 18. Jh. noch populär, klingt er für den heutigen Leser "vernichtend".
Ich habe was zu sinnen,
Ich habe, was mich beglückt;
In allen meinen Sinnen
Bin ich von ihr entzückt.
Oder versteckt, aber trotzdem störend:
Wie Delphine sie begleiten!
Munter in die Ferne gleiten...
Reimstellung:
1. Reimpaarverse: aa bb cc dd ...
Vor allem die versdichtung des hohen Mittelalters reimt in dieser Art.
2. Kreuzreim: a b a b c d c d ...
Vor allem in den Volksliedern und "volkstümlichen" Dichtung des 19. Jh. verwendet.
3. Umarmender Reim: a b b a c d d c ...
Verwendet im strengen Sonett.
4. Schweifreim: a a b c c b
5. Freiere Formen: Aufgabe des Reimschemas
6. Binnenreim: Reimen der Wörter innerhalb einer Zeile
Ein nett honett Soettso nett zu drechseln.
7. Anfangsreim: Die ersten Wörter klingen gleich
Ein Laub, das grunt und flabt geschwind.
Ein Staub, den leicht vertreibt der Wind.
8. Schlagreim: Gleichklang zweier aufeinanderfolgender Wörter
9. Kettenreim: Das Wort am Zeilenende und ein Wort im Innern der nächsten Zeile reimen sich.
Wenn langsam Welle sich an Welle schließet,
Im breiten Bette fließet still das Leben
wird jeder Wunsch verschweben in den einen.
Abgenutzte und neue Reime
Der Kampf um den Reim wiederholte sich im um 1900. Als Argument gegen den Reim galt vor allem, dass durch jahrhunderte lange Nutzung Reime derart abgegriffen, dass sie unwirksam und peinlich seien. Als Beispiele hierfür betrachte man die Reime Herz : Schmerz, Liebe : Triebe, oder auch Bäume : Träume. Doch hat sich die Möglichkeit des Reimes in den letzten Jahrzehnten auch vermehrt (z.B. durch Aufnahme dialektischer Ausdrücke, Fremdwörter, Eigennamen, Bezeichnungen der Wissenschaft etc.).
Andere Reimarten
1. Stabreim: Aus der germanischen Dichtung stammend bezeichnet der Stabreim eine Alliteration in drei von vier betonten Stammsilben. Viele dieser Stabreime sind bis heute erhalten: Mann und Maus, Haus und Hof, Kind und Kegel usf.
Vollendet das ewige Werk:
auf Berges Gipfel
die Götter-Burg,
prunkvoll prahlt
der prangernde Bau!
2. Assonanz: Die Assonanz besteht aus dem Gleichklang nur der Vokale in den betonten Silben. Es assoziieren z.B. still/ritt/Tisch; Friede/Liebe/Wiegen; sangbar/sattsam/Waldnacht. Die bindende Kraft der Assonanz ist im Deutschen im Gegensatz zum Spanischen sehr gering und wird seit der Romantik so gut wie icht mehr verwendet.
3. Schüttelreime: Die anlautenden Konsonanten der reimenden Silben werden vertauscht, wobei nur die Lautung eine Rolle spielt. Kein ernstes Reimschema, sondern fröhliche Kunst.
Als wach mich bat der Sonne Schein gerüttelt,
Fragt ich mich bang: hab ich auch rein geschüttelt?
Christopher Lorenz
www.Christopher-Lorenz.de.vu